Les festivals de l’été –
Münchner Opernfestspiele : Eine Aida ohne „Couleur locale“.

Regisseur Damiano Michielotto hat für seine aktuelle Münchener Inszenierung, deren Premiere am 15. Mai dieses Jahres stattfand, eine „Übersetzung“ des Stückes in die Jetztzeit gewagt, bei der der charakteristische Exotismus der Partitur völlig ausgeklammert wurde. Die verfeindeten Nationen Ägypten und Äthiopien scheinen irgendwo im postsowjetischen Osteuropa angesiedelt zu sein. Ein ethnischer Konflikt wird nicht thematisiert, auch werden keine kolonialen Ansprüche einer kulturell überlegenen Nation gegenüber einem besiegten „Barbarenvolk“ kritisch beleuchtet: Im Äthiopien von König Amonasro sehen die Menschen genauso alltäglich aus wie im Reich der Pharaonen, die Kriegsparteien fügen sich gegenseitig großen Schaden zu: Wer ist hier Angreifer, und wer Verteidiger, wer ist Täter, wer Opfer? Während der Bote, der vom Überfall Amonasros berichtet, im Original nur von verwüsteten Feldern spricht, trägt er nun die verhüllte Leiche eines kleinen Kindes auf dem Arm, ein unschuldiges ziviles Opfer in einem langanhaltenden militärischen Konflikt. Später muss Aida die trauernde Mutter dieses Kindes trösten, während sie selbst in der „Ritorna vincitor“-Arie ihr eigenes Leid klagt. Auch der berühmte Triumphzug kommt wenig triumphal daher, die heimkehrenden siegriechen Soldaten, allen voran der desillusionierte Radames, wirken freudlos und traumatisiert, einige laufen auf Krücken oder sitzen sogar im Rollstuhl, wie schon vor einigen Jahrzehnten bei John Dew. Aida wird also als ein zeitlos anklagendes Anti-Kriegs-Drama gedeutet, bei dem die einzelnen Menschen mit ihren privaten Träumen und Sehnsüchten an einer brutalen politischen Realität scheitern. Stellvertretend für die unmenschliche Macht des Staatsapparats tritt der Oberpriester Ramfis als finsterer Geheimdienstchef im ikonischen langen schwarzen Ledermantel auf, der die Fäden der Macht im Staat Ägypten in den Händen hält und selbst gegenüber der Königstochter Amneris übergriffig auftritt. Das Todesurteil gegen Radames wird am Ende von einem grauen Bürokraten an einem Schreibtisch am linken Bühnenrand aufgezeichnet, gegen ihn schleudert Amneris auch ihren verzweifelten „Anatema“-Fluch.  

Michielottos Bühnenbildner Paolo Fantin hat für diese politisch-dystopische Interpretation des populären Werkes einen Einheitsraum für alle vier Akte geschaffen, einen hässlichen Zweckbau, der wohl in Friedenszeiten einmal eine Sporthalle war. Ein Schwebebalken, ein Turn-Pferd und ein abmontierter Basketballkorb zeugen noch von dieser ursprünglichen Bestimmung. Bombeneinschläge haben riesige Löcher in die Decke des Raums gerissen, durch die zeitweise wie ein böses Omen schwarze Asche rieselt. Der Hallenraum bietet sich als Einheitsbild an, da er gleichzeitig als öffentlicher Raum für die Massenszenen, als auch als intimer Innenraum genutzt werden kann, in dem sich das kammerspielartige Eifersuchtsdrama der drei Hauptfiguren abspielt.

Nach der Pause, zu Beginn des Nil-Aktes, hat sich in der rechten Bühnenhälfte ein gewaltiger begehbarer Aschehaufen aufgetürmt und Teile des Raumes verschüttet – ein Symbol für die Eskalation des Krieges, aber auch für verschüttete Erinnerungen, aus denen die Titelheldin in traumartigen Sequenzen Gegenstände aus ihrer Kindheit ausgräbt. Am Ende des vierten Aktes wird dieser Berg dann mit Hilfe der Hebebühne in die Höhe bewegt und verwandelt sich in das Grab für Radames und Aida, während Amneris und die übrigen Darsteller ebenerdig, auf dem Boden der Realität zurückbleiben müssen – eine interessante Umkehrung der von Verdi und seinen Textdichtern vorgesehenen räumlichen Anordnung.

Traumhafte, irreale Bilder ziehen sich durch die optisch eigentlich nüchtern gehaltene Inszenierung: So begegnet Aida in einer Art Zeitreise ihrer eigenen Familie, sie selbst als spielendes Kind in zitronengelbem Kleid, daneben ihr Vater Amonasro und die verstorbene Mutter als freundliches bürgerliches Ehepaar. Und zu den himmlischen Klängen des „Addio Terra“-Finales erscheinen in Zeitlupe tanzende bunt gekleidete Paare mit Luftballons, darunter auch wieder die Eltern Aidas, als Botschafter einer besseren Welt, während das Liebespaar seinem Tod entgegensingt.

Das Kriegstrauma, das Radames in der zweiten Hälfte des Dramas in eine passive, fast willenlose Figur verwandelt, wird während der Ballettmusik der Triumphszene auf ähnlich plakative Weise erklärt. Der Darsteller wird hier von den übrigen Darstellern mittels eines Gaze-Vorhangs getrennt, auf den alptraumhafte Video-Sequenzen projiziert werden. Dabei werden die emotionslosen, blutbefleckten Gesichter der Soldaten in Großaufnahme eingeblendet, dazwischen immer wieder das jubelnde Volk, das schließlich in einer gruseligen Zukunftsvision als Leichenberg am Boden liegt. 

Die Grundbotschaft Michielottos „Krieg ist böse und zerstört menschliche Existenzen“ ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, die aber doch am Ende etwas zu banal wirkt, um als Idee für so eine minimalistische moderne Inszenierung einer langen und komplexen Oper auszureichen. Gelingen dem Regisseur einerseits recht überzeugende und auch ergreifende Bilder – dankenswerter Weise kommt er dabei ohne übertriebene äußerliche Gewaltdarstellungen aus -, so ist doch die Personenführung über weiter Strecke etwas hölzern, ja sogar konventionell, gerade in Ensembles wird häufig statuarisch herumgestanden und ins Publikum gesungen. Einige Logikfehler fallen zudem unangenehm auf. Amneris schickt ihre Gefährtinnen und Sklaven vor dem Duett mit Aida eigentlich von der Bühne. Das ist konsequent, denn Amneris will der Rivalin durch einen Trick ein Geheimnis entlocken, dafür muss sie eine private, vertrauliche Atmosphäre schaffen. In der Inszenierung bleiben die Chor-Damen – die hier als Besucherinnen eine Suppenküche für Kriegsflüchtlinge auftreten – einfach trotzdem auf der Bühne, auch die fröhlich-hüpfenden Kinder mit ihren quietschenden Luftballons, die hier den Tanz der „kleinen Mohrensklaven“ ausführen, verlassen nur allmählich die Bühne.

Unlogisch, wenn auch sehr dramatisch, ist auch die Idee, dass Ramfis am Ende des Nil-Aktes den flüchtenden Amonasro im letzten Moment vor der Festnahme des Radames mit seiner Pistole erschießt. Aida müsste dies eigentlich mitbekommen, aber sie verlässt einfach die Bühne. Verhält man sich so, wenn gerade der eigene Vater stirbt? Später berichtet dann Amneris dem verurteilten Radames, dass Amonasro auf der Flucht getötet worden sei. Wieso muss sie das noch einmal erzählen, nachdem die beiden doch als Zeugen bei der Erschießung anwesend waren?

Wenn die Inszenierung somit einige Fragen offenließ und Teile des Publikums etwas ratlos zurückließ, so bot der Abend doch vor allem auf Grund der musikalischen Umsetzung eine festivaltaugliche Aufführung.

Die Musikalische Leitung an dem Abend lag in den Händen von Daniele Rustioni, einem großen Verdi-Kenner, der das hervorragende Orchester der Bayerischen Staatsoper mit seinen wunderbaren Bläsersolisten sicher durch die anspruchsvolle Partitur führte. Er wählte zum Teil zupackende Tempi und setzte gerade bei den Massenszenen auf einige extreme dynamische Effekte, die den fehlenden Pomp auf der Bühne gut kompensierten. Es bestand eine hervorragende Kommunikation zwischen Graben und Bühne, nur hätte das Orchester an einigen lauteren Stellen in den solistischen Ensembles sensibler begleiten können, einige Übergänge hätten zudem etwas flüssiger gestaltet werden können.

Im Mittelpunkt der Inszenierung stand die Titelpartie, die von Elena Stikhina mit ihrem warmen, ebenmäßigen, klangschönen und intonationssicheren Sopran besonders anrührend dargestellt wurde. Mit großer Leichtigkeit gelangen ihr die gefürchteten langsamen Piano-Passagen in ihren beiden großen Arien. In den Tutti und in den dramatischen Duetten mit Amneris und Amonasro konnte sie sich aber auch gut mit dramatischen Spinto-Tönen durchsetzen.

Als Amneris trat ihr dabei die stimmgewaltige Ungarin Judit Kutasi als Rivalin entgegen. Kutasi gelangen einige dramatische Vulkanausbrüche dank ihrer sicheren, sehr kräftigen Höhe; in der Tiefe setzte sie dagegen imposante Brustregister-Töne ein. Leider trübten eine nicht immer makellose Intonation, gerade bei einigen doch sehr klangschön gesungenen Piano-Passagen, und das übergroße Vibrato in der Mittellage das positive Gesamtergebnis ein wenig.

Riccardo Massi war ein heldenhafter, höhensicherer Radames, der die schwierige Partie klangschön und ausdrucksstark ausführte. Ich persönlich fand, dass er darstellerisch sehr gut in das Regiekonzept Michielottos passte, seine tragische Wandlung vom naiv-sympathischen Jungen von nebenan zum psychisch angegriffenen, desillusionierten Kriegsheimkehrer überzeugte, er gehörte ja, ähnlich wie Kutasi, nicht zu der Erstbesetzung der Inszenierung, sondern war für die Festspiele in die Produktion eingesprungen.

George Petean gestaltete die Partie des Amonasro als bedrohlich-intriganten Machtmenschen, weniger als grobschlächtigen und lautstarken Wüterich. Mit seiner klangschönen Stimme, hervorragender Phrasierung und Deklamation gelang es ihm, fehlendes Volumen durch Intelligenz und Ausdrucksstärke auszugleichen. Sein hochdramatisches Duett mit Stikhina war der musikalische und emotionale Höhepunkt des Abends.

Leider war der Bass Alexander Köpeczi, der den finsteren Ramfis sang, an diesem Abend indisponiert. Dank seiner sonoren und sicher geführten Stimme gelang ihm jedoch immer noch ein eindrucksvolles düster-bedrohliches Rollenporträt.

Als gutmütiger König bot der junge Bass Alexandros Stavrakakis das nötige stimmliche Fundament für die Autoritätsfigur des Abends. Auch die beiden Nebenrollen mit ihren wichtigen Auftritten waren mit James Ley (Messaggiero) und Elmira Karakhanova (Sacerdotessa) angemessen besetzt.

Ein besonderes Lob muss dem Chor der Bayerischen Staatsoper (Leitung: Johannes Knecht) ausgesprochen werden, der die gewaltigen Chorszenen des Werkes mit Klangpracht und großer Stimmkultur interpretierte.

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Les artistes

Aida : Elena Stikhina
Radamès : Riccardo Massi
Amneris : Judit Kutasi
Ramfis : Alexander Köpeczi
Amonasro : George Petean
Le Roi : Alexandros Stavrakakis
Un messager : James Ley
Une prêtresse : Elmira Karakhanova

Bayerisches Staatsorchester, Bayerischer Staatsopernchor (Johannes Knecht), dir. Daniele Rustioni

Mise en scène : Damiano Michieletto
Dramaturgie : Katharina Ortmann
Décors : Paolo Fantin
Costumes : Carla Teti
Video : rocafilm
Chorégraphie : Thomas Wilhelm
Lumières : Alessandro Carletti

Le programme

Aida

Opéra en 4 actes de Giuseppe Verdi, livret d’Antonio Ghislanzoni d’après un scénario d’Auguste Mariette, créé le 24 décembre 1871 à l’Opéra khédival du Caire.
Munich, Bayerische Staatsoper, 30 juillet 2023